Vielleicht kennt der eine oder andere von euch das Phänomen, dass man oft von Leuten angesprochen wird, ob man nicht den Weg irgendwohin erklären könne, was man denn da im Einkaufskorb habe oder ob man eben kurz behilflich bei diesem oder jenem sein könne. Mir jedenfalls passiert das ständig.
Vor einiger Zeit war ich wie immer im Fitness-Studio. In der Umkleidekabine werde ich von einer jungen Frau angesprochen, ob ich mich hier auskenne und ob ich kurz erklären könne, wie das hier mit den Spints funktioniere und wie man überhaupt an den Geräten sinnvoll trainiere, sie sei das erste Mal hier. Zwar bin ich keine Trainerin, aber natürlich bin ich da nicht so und weil sie mir mit ihrer direkten Art sympathisch war, biete ich ihr gleich an, dass sie einfach mit mir heute trainieren könne und ich ihr einige Übungen an den Geräten erkläre.
Nach dem Aufwärmen frage ich sie, was ihre Trainingsmotivation sei. Sie hatte durch Schwangerschaften einige Kilo zugenommen, vor allem am Bauch, und möchte nun Bauchfett verlieren. Ob ich ihr nicht einige Übungen für den Bauch zeigen könne, damit sie am Bauch endlich das lästige Fett verlieren könne.
Gezielter Verlust von Bauchfett bleibt ein schöner Traum
Viele Leute plagen sich mit ihrem Bauchfett herum. Der Wunsch, den Ring um den Bauch abzulegen, ist mehr als verständlich. Man liest immer wieder, dass gerade bei Männern das Bauchfett zu einem ungünstigen hormonellen Milieu führe. Und bei uns Frauen entspricht es einfach nicht der typischen Sanduhr-Silhouette. Neben diesem berechtigten Wunsch kursiert aber zugleich der Mythos, man könne gezielt Bauchfett durch Übungen wie z.B. Crunches oder an speziellen Bauchweg-Geräten und -Rollern verlieren. Die Vorstellung klingt zunächst einmal wunderbar: Ich trainiere meinen Bauch und das Fett verschwindet dann genau dort. Leider ist das etwas zu kurz gedacht. Der Mythos vom „Bauchfett verlieren“ oder allgemein der gezielten Fettreduktion an einer bestimmten Stelle am Körper, auch Spot-Reduction genannt, ist einfach nicht wahr und bleibt nur ein schöner Traum.
Woher der Mythos vom „Bauchfett verlieren“ kommt
Andererseits gründet dieser Mythos vom „Bauchfett verlieren“ auf einer plausiblen Überlegung. Wenn ich meine Muskeln trainiere, straffe ich das Gewebe und sehe dadurch schlanker und sportlicher aus. Zugleich erhöht die antrainierte Muskelmasse meinen Grundumsatz, wodurch ich sozusagen nebenbei Fett abnehme. So weit, so gut.
Nun wird diese sehr richtige Überlegung auf eine bestimmte Körperstelle übertragen. Wenn ich meinen Bauch trainiere, dann verschwindet dort das Fett und alles sieht dort straff, schlank und toll aus oder im besten Fall bekomme ich sogar ein Sixpack. Der Rest des Körpers bleibt so, wie er ist. So funktioniert aber unser Körper nicht.
Gezielte Straffung ist möglich, gezielter Fettabbau nicht
Natürlich nehmen manche von uns schneller am Bauch ab als andere. Das gilt genauso für alle anderen Körperstellen. Jeder Körper ist eben individuell. Wenn es also jemandem gelingt, mit seinem einseitigen Bauchtraining gezielt am Bauch abzunehmen – vorausgesetzt es liegt ein Kaloriendefizit vor – dann liegt das sehr wahrscheinlich an seiner Veranlagung, am Bauch schnell Fett abzubauen. Ein glücklicher Zufall.
Was außerdem viele bei einseitigem Training als gezielte Fettreduktion interpretieren, ist der straffende Effekt, den die Übungen an der jeweiligen Körperregion bewirken – gezielte Straffung ist nämlich im Gegensatz zur Spot-Reduction durchaus möglich! Ein intensives und regelmäßiges Training des Bauches bleibt zumindest in dieser Hinsicht nicht ohne Folgen und kann sich bei schlaffem Gewebe durchaus lohnen. Die Straffung bewirkt eine schlankere Silhouette, die allerdings nicht mit einer tatsächlichen Fettreduktion verwechselt werden darf.
Drei handfeste Argumente gegen Spot-Reduction
Neben dem Unterschied zwischen Straffung und Fettreduktion möchte ich euch an dieser Stelle Argumente präsentieren, die gegen den Mythos der Spot-Reduction sprechen. Es gibt zumindest drei handfeste Tatsachen, die gegen den gezielten Fettabbau an einer bestimmten Körperstelle sprechen.
- Zum einen gibt es keine Isolationsübungen im engeren Sinn. Bei jeder Übung, und sei diese noch so sehr auf eine bestimmte Muskelgruppe ausgerichtet, trainiere ich zumindest zu einem kleinen Prozentsatz andere Muskelgruppen mit. Das gilt auch für Crunches, bei denen etwa auch die Beinmuskulatur in kleinerem Maße beansprucht wird.
- Zudem steuert der Körper den Fettabbau zentral. Wenn ich meinen Bauch trainiere, brauche ich Energie, die der Körper im Idealfall aus den Fettzellen zieht. Nur werden diese Fettzellen eben überall im Körper angesteuert, wodurch man durch Training generell gleichmäßig oder eben je nach Veranlagung abnimmt.
- Wenn ich an einer bestimmten Stelle abnehmen möchte, werde ich an allen Stellen abnehmen müssen. Das bedeutet, dass es beim „Bauchfett-weg“ nicht so sehr auf Crunches, sondern auf die richtige Kalorienbilanz ankommt. Werden weniger Kalorien zugeführt als verbraucht werden, wird der Körper seine Fettzellen abbauen. Ergebnis: Der Bauch wird auch schlanker. Eine negative Kalorienbilanz erreicht man entweder durch mehr Sport oder durch weniger Essen, aber nicht mit unzähligen Crunches. Also lieber abwechslungsreichen Sport treiben und auf die Ernährung achten, dann klappt es auch mit dem Abnehmen und dem schlanken Bauch.
Viele Leute glauben an den Mythos der Spot-Reduction
Bevor ich das Training mit meiner neuen Bekanntschaft begonnen habe, musste ich ihr erstmal erklären, dass das Ziel, gezielt am Bauch durch bestimmte Übungen abzunehmen, etwas unrealistisch ist. Ich denke, dass sie mir das nicht so recht geglaubt hat, auch wenn sie keinen Widerspruch eingelegt hat. An dem Tag hatte ich jedenfalls Push-Training geplant, was wir schließlich gemeinsam absolvierten. Leider habe ich sie danach im Studio nicht wieder getroffen. Mag sein, dass sie sich einen Bauchweg-Effekt versprochen hatte, der nicht eingetreten ist. Ein kontinuierliches Training hätte bestimmt ihren Wunsch erfüllt.